Motorische Entwicklungsstörungen

Heinz Krombholz

Dieser Beitrag stellt eine Zusammenfassung des Kapitels: "Umschriebene Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen" dar, Krombholz 2005, in: Schlottke, P.F. et . (Hrsg.) Enzyklopädie der Psychologie, Band 5: Störungen im Kindes und Jugendalter – Grundlagen und Störungen im Entwicklungsverlauf. Göttingen: Hogrefe 2005, S. 545-574.

Einleitung

Die motorische Entwicklung ist - zusammen mit der Wahrnehmung - Grundlage der meisten höheren menschlichen Leistungen und sie ist für die Gesamtentwicklung des Kindes von grundlegender Bedeutung. Störungen der motorischen Fertigkeiten bedeuten eine entscheidende Beeinträchtigung für das Kind; sie engen nicht nur den Bewegungs- und Handlungsspielraum ein, sie hemmen es meist auch in seinen sozialen Aktivitäten, beeinträchtigen sein Selbstwertgefühl und sein Selbstvertrauen und können weitere Persönlichkeitsbereiche negativ beeinflussen. Gravierende Abweichungen von der "normalen" Bewegungsentwicklung müssen daher stets beachtet werden und es sollte zumindest versucht werden, solchen Störungen entgegenzuwirken. Sonst besteht die Gefahr, dass das Kind in einen Teufelskreis gerät: Infolge seiner schwachen motorischen Leistungen erleidet das Kind Misserfolge, es vermeidet motorische Herausforderungen und fällt - infolge mangelnder Übung - immer stärker hinter die Leistungen Gleichaltriger zurück.

Bereits "einfachste" menschliche Bewegungen erfordern eine große Anzahl von genau abgestimmten Muskelaktivitäten, die durch komplexe neuronale Prozesse gesteuert werden. Allein der aufrechte Stand (die sogenannte Stütz- oder Statomotorik) und der Gang des Menschen sind "ein Wunder der Regulation" (Birbaumer & Schmidt, 1990, S. 296). Die "motorischen Zentren", die für die Ausführung und die Kontrolle von Haltung und Bewegung verantwortlich sind, erstrecken sich über verschiedene Abschnitte des Zentralnervensystems von der Hirnrinde bis zum Rückenmark und umfassen Großhirn, Kleinhirn, Stammganglien und das limbische System. Angesichts der Komplexität der menschlichen Motorik und der zusätzlichen Bedeutung emotionaler Einflüssen (z.B. Furcht) kann es kaum verwundern, dass fast alle Bewegungen von Störungen betroffen sein können und eine Vielzahl von Ursachen motorische Störungen bewirken können.

Eine Reihe von (körperlichen) Krankheiten, Schädigungen oder Funktionsstörungen, insbesondere zerebrale Störungen, spinale Störungen, Muskel- und Gelenkerkrankungen, aber auch Atmungs- und Kreislaufprobleme betreffen die Motorik unmittelbar. Besonders schwerwiegende Koordinationsstörungen treten im Rahmen neurologischer Erkrankungen und als Folge von Schädel-Hirn-Traumen auf. Ebenfalls kann eine eingeschränkte Sensorik die Bewegungsentwicklung beeinträchtigen. Dies gilt für blinde oder sehbehinderte und für schwerhörige oder taube Kinder. Auch eine mangelnde Entwicklung der geistigen Fähigkeiten geht in der Regel mit einer Verminderung motorischer Fertigkeiten einher.

Bei einigen Kindern sind allerdings Störungen des Bewegungsverhaltens oder Abweichungen von der "normalen" Entwicklung der Motorik zu beobachten, ohne dass somatische Ursachen, Einschränkungen der Sinnesleistungen oder der kognitiven Fähigkeiten nachgewiesen werden können. In diesem Falle spricht man von umschriebenen Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen.

Klinisches Erscheinungsbild und Diagnose

Kinder mit umschriebenen Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen zeigen ein nicht altersgemäßes Bewegungsverhalten und sind in ihrer motorischen Gesamtentwicklung verlangsamt. Die Bewegungsmuster sind zwar meist unauffällig, werden aber erst verspätet erworben. Diese Kinder erreichen die sogenannten motorischen "Meilensteine" der Entwicklung nur mit erheblicher Verspätung und sie machen z.B. ihre ersten freien Schritte nicht vor ihrem 3. Lebensjahr. Es können alle motorischen Leistungen oder nur eine Teilbereich betroffen sein: Hat das Kind Schwierigkeiten mit der Feinmotorik oder der Auge-Hand-Koordination, so gelingt es ihm z.B. im Alter von dreieinhalb Jahren noch nicht, drei Bauklötzchen aufeinander zu stellen, wohingegen grobmotorischen Leistungen (wie Sitzen, Krabbeln, sich Aufrichten und Gehen) nicht betroffen sind.

Im Kindergarten- oder Grundschulalter gelten Kinder mit motorischen Entwicklungsstörungen als ungeschickt und unbeholfen, sie haben Schwierigkeiten beim Anziehen und beim Malen. Sie lassen häufig Gegenstände fallen, haben Probleme beim Hüpfen, Balancieren, beim Werfen und besonders beim Fangen von Bällen, meiden daher Ballspiele und andere Spiele, bei denen es auf Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Gewandtheit ankommt. Beim Erlernen des Fahrradfahrens, Schwimmens, Rollschuhfahrens fallen sie durch staksige, plumpe Bewegungen, fehlende Geschmeidigkeit auf und sie haben Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. Wegen ihrer mangelnden motorischen Leistungen werden sie nicht selten Opfer von Hänseleien. Im Schulalter fallen sie durch eine ungelenke, schlecht leserliche Handschrift und schlechte Leistungen im Sportunterricht auf. Es besteht die Gefahr, dass diese Kinder, insbesondere Jungen, aufgrund schlechter Leistungen bei Mannschaftsspielen zu Außenseitern werden. Mit dem Älterwerden der Kinder vermindern sich die Störungen, wenn auch geringe Defizite oft bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben.

Da das Sprechen eine ganz besonders anspruchsvolle feinmotorische Leistung darstellt, ist es nicht verwunderlich, dass Kinder mit umschriebenen Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen häufig Schwierigkeiten beim Sprechen haben und selbst im Grundschulalter manche Laute noch nicht richtig bilden können.

Für die Beurteilung, ob die motorische Entwicklung eines Kindes altersadäquat verläuft und ob eine Intervention angezeigt ist, ist durch einen klinischen Psychologen anamnestisch nicht nur die motorische Entwicklung, sondern die Gesamtentwicklung des Kindes zu eruieren. Durch Verhaltensbeobachtung sollte geklärt werden: sind die Bewegungen des Kindes altersgemäß, zeigen sich auch "pathologische" Bewegungsmuster, die im normalen Entwicklungsverlauf nicht auftreten, oder versagt das Kind bei Bewegungsanforderungen aus Überängstlichkeit oder mangelndem Selbstvertrauen. Zur motoskopischen Beurteilung des Bewegungsverhaltens haben sich die Aufgaben Stehen mit geschlossenen Augen auf einem Bein, einbeiniges Hüpfen, Hampelmann-Sprung und Finger-Nasen-Versuch bewährt (vgl. Neuhäuser, 1996), ebenso Sprünge am Trampolin (Hünnekens & Kiphard, 1963). Die Verwendung von Video-Aufzeichnungen kann die Beobachtungsmöglichkeiten zusätzlich verbessern. Auch die Interaktion Kind-Eltern bei Sport und Spiel darf nicht ausgeklammert werden (Welche Erwartungen haben die Eltern an die motorischen Leistungen des Kindes, wird es angemessen gefördert, unter- oder überfordert?).

Die Verhaltensbeobachtung sollte mindestens durch ein standardisiertes Testverfahren zur Überprüfung der Grob- und Feinmotorik ergänzt werden. Für die Diagnose Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen sollte die Leistung deutlich (mindestens 1,5 Standardabweichungen) unter der Altersnorm liegen. Dies ist anhand eines individuell durchgeführten standardisierten Testverfahrens zu prüfen. Geeignete Verfahren sind u. a.:

  • die Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik MFED, Altersbereich: 1.,2. und 3. Lebensjahr (Hellbrügge, 1994)
  • Wie weit ist ein Kind entwickelt? – Eine Anleitung zur Entwicklungsüberprüfung, Altersbereich: 0-4 Jahre (Kiphard, 1996)
  • Motoriktest für 4- bis 6-jährige Kinder (Zimmer & Volkamer, 1987)
  • Körperkoordinationstest für Kinder KTK, Altersbereich: 5 – 14 Jahre (Kiphard & Schilling, 1974)

Meist ist zusätzlich die Durchführung eines Entwicklungs- oder Intelligenztests notwendig, um den Stand der geistigen Entwicklung abschätzen zu können. Gegebenenfalls ist eine somatische Untersuchung (Körpermaße, Anomalien, Seh- und Hörfähigkeit) durch einen Facharzt erforderlich. Um Erkrankungen des Nervensystems als Ursache der Störung ausschließen zu können, sollte eine eingehende neurologische Untersuchung durchgeführt werden.

Häufigkeit motorischer Entwicklungsstörungen

Aufgrund vorliegender Studien ist davon auszugehen, dass rund 5 Prozent aller Kinder im Vorschulalter unter umschriebenen Entwicklungsrückständen der Grob- und Feinmotorik leiden (Schmidt, 1985; Warnke & Niebergall, 1993). Nach vorliegenden Schuleingangsuntersuchungen in einzelnen Bundesländern beträgt der Anteil von Kindern mit motorischen Koordinationsstörungen etwa 5 bis 10 Prozent (Schuleingangsuntersuchungen in Bayern und Nordrhein-Westfalen). Jungen sind von motorischen Entwicklungsstörungen stärker betroffen als Mädchen, die Rate Jungen / Mädchen beträgt etwa 2:1. Ein - von verschiedener Seite behaupteter - Anstieg des Anteils von Kindern mit Bewegungsstörungen lässt sich anhand empirischer Daten nicht belegen. - Angaben, wonach mehr als 30 Prozent der Kinder in Deutschland Koordinationsschwächen und -schäden aufweisen (vgl. z.B. Dordel, 1998, S. 102), sind offensichtlich unzutreffend.

Es kann nicht überraschen, dass motorische Entwicklungsstörungen und sensorische Störungen häufig gemeinsam auftreten. Kinder mit eingeschränkter Sehfähigkeit, aber auch Hörbehinderte sind in ihrer Bewegungsentwicklung beeinträchtigt; bei Hörbehinderten ist auffallender weise häufig das Gleichgewicht gestört.

Übereinstimmend wird in der Literatur hervorgehoben, dass umschriebene motorische Entwicklungsstörungen häufig gemeinsam mit anderen Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten auftreten. Schwedische Längsschnittuntersuchungen seit den 70er Jahren belegen, dass Aufmerksamkeitsstörungen meist mit motorischen Störungen, Sprech- und Sprachstörungen und Wahrnehmungsstörungen einhergehen (Zusammenfassung bei Gillberg 1998).

Die Frage, ob motorische Entwicklungsstörungen mit Lernstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und sozialen Störungen einhergehen, wird kontrovers diskutiert (Sugden & Chambers 1998,Gillberg 1998, Esser 1995).

Ursachen motorischer Entwicklungsstörungen

Störungen der Motorik in der Kindheit und Jugend können durch organische Einflüsse (vor allem Entzündungen, Traumen, Anfallsleiden, Chromosomenanomalien, Reifungsverzögerungen des ZNS, Mangelernährung) oder psychische (Deprivationsbedingungen, mangelnde Versorgung, Misshandlung, längere Krankenhausaufenthalte, Erkrankungen der Eltern) bzw. psychosoziale Einflüsse (gestörte Familienverhältnisse, Armut) hervorgerufen werden (vgl. Remschmidt, 1988, S.169).

Die motorischen Entwicklungsstörungen, wie sie in den international gebräuchlichen Klassifikationssystemen (ICD-10, Weltgesundheitsorganisation, 1995 und DSM-IV, American Psychiatric Association, 1994) definiert werden, dürfen nicht Folge eines medizinischen Krankheitsfaktors, eines Ausfalls oder einer Beeinträchtigung der Sinnesorgane oder einer kognitiven Beeinträchtigung sein. Welche Ursachen diese Störungen allerdings hervorrufen, darüber besteht keineswegs Einigkeit. Beim derzeitigen Forschungsstand besteht Grund zur Annahme, dass motorische Entwicklungsstörungen auf verschiedenen Ursachen beruhen können bzw. unter diesem Konzept verschiedene Störungen zusammengefasst werden, die unterschiedliche Ursachen haben. Es erscheint - angesichts der Komplexität der neuronalen Kontroll- und Steuerungsprozesse selbst einfachster Bewegungen - plausibel, dass die Verarbeitung sensorischer Informationen und zentrale Verarbeitungsprozesse bei motorischen Entwicklungsstörungen eine entscheidende Rolle spielen. Daneben können unzureichende Lernerfahrungen am Zustandekommen motorischer Entwicklungsstörungen ursächlich beteiligt sein oder sie können vorhandene Bewegungsprobleme verstärken. Kinder, deren Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, werden infolge dieses Bewegungsmangels keine altersgemäßen motorischen Leistungen erzielen. Bei Kindern, die primär unter spezifischen Problemen beim Erlernen von Bewegungsabläufen (motorischen Lernstörungen) oder an sensorischen oder physiologischen Beeinträchtigungen leiden, besteht die Gefahr, dass sich ihre schlechten motorischen Leistungen zusätzlich infolge eingeschränkter Bewegungserfahrungen weiter verschlechtern.

Möglichkeiten der Behandlung motorischer Entwicklungsstörungen

Leistungsrückstände in der motorischen Entwicklung sind durchaus therapierbar, auch wenn nicht in allen Fällen ein normales Entwicklungsniveau erreicht werden kann. Ein gezieltes, intensives und auf die besondere Situation dieser Kinder abgestimmtes Training verspricht auch Erfolge bei Kindern mit motorischen Rückständen infolge von Intelligenzminderung oder sensorischer Defizite (vgl. Eggert, 1994; Kiphard, 1994a; Williamson, 1997; Levtzion-Korach, Tennenbaum, Schnitzer & Ornoy, 2000).

Es liegen verschiedene Ansätze vor, die den Anspruch erheben, motorische Störungen zu mindern und darüber hinaus Lern- und Verhaltensstörungen zu beseitigen und die Gesamtentwicklung des Kindes positiv zu beeinflussen. Die bekanntesten dieser Förderprogramme sind das "Perzeptivmotorische Training" (PMT, Kephard, 1960), die "Sensorisch-integrative Therapie" (SIT, Ayres, 1979, 1998) und das "Kinästhetische Training" (KT, Laszlo & Bairstow, 1985). In Deutschland wurde insbesondere die "Psychomotorische Übungsbehandlung" als Ansatz zur Bewegungsförderung für behinderte und nicht behinderte Kinder bekannt (z.B. Kiphard, 1994b). Stand zunächst auch bei diesem Ansatz der therapeutische Aspekt im Vordergrund, so geht es seit einigen Jahren vermehrt um die Prävention von Verhaltensstörungen und die ganzheitliche Förderung der kindlichen Persönlichkeit. Kennzeichnend für diesen Ansatz ist nach Eggert (1994, S. 20) " ... die Förderung der Entwicklung von Kindern durch das Zusammenspiel von Bewegen, Denken, Fühlen und Orientieren im Spiel oder einer anderen bedeutungsvollen sozialen Handlung zusammen mit anderen" - gemeint sind andere Kinder, aber auch der Pädagoge oder Therapeut. Besonders hervorgehoben wird die Wechselwirkung zwischen Störungen der Motorik und Persönlichkeitsdimensionen wie Aggressivität, Ängstlichkeit, Demotivierung und Lernstörungen. Die ganzheitliche Förderung der Persönlichkeit des Kindes soll vor allem erreicht werden durch die Vermittlung motorischer, sensorischer und kognitiver Anreize, die Erweiterung der motorischen Kompetenzen und die Möglichkeit, vielfältige Sinnes-, Bewegungs- und Materialerfahrungen zu sammeln. Bei allen Aktivitäten wird Wert darauf gelegt, dass die Kinder eigene Bewegungsideen verwirklichen können, positive soziale Zuwendung erfahren und (wieder) Freude an der Bewegung erleben können. Um die genannten Ziele zu erreichen, werden verschiedene Elemente der Bewegungspädagogik genutzt wie sportmotorische Übungen (z.B. Ballspiele, Kletterübungen, Trampolin), Bewegungs- und Konzentrationsspiele, rhythmisch-musikalische, musische und tänzerische Darbietungsformen, Entspannungsübungen sowie darstellende und gestalterische Spiele.

Trotz vieler positiver Berichte über den Erfolg dieser Ansätze gibt es nur wenige streng kontrollierte Studien, die – zusätzlich zur gut belegten Steigerung der motorischen Leistungen – auch die erwarteten positiven Auswirkungen auf nichtmotorische Persönlichkeitsbereiche, insbesondere schulische oder schulnahe Leistungen, belegen (vgl. Krombholz, 1985; Arendt, McLean & Baumeister, 1988; Hoehn & Baumeister, 1994; Sims, Henderson, Morton & Hulme, 1996; Sigmundsson, Pedersen, Whiting, & Ingvaldsen, 1998). Es sind daher Zweifel angebracht, ob mit Hilfe vorwiegend bewegungsorientierter Programme nichtmotorische Persönlichkeitsbereiche wie Intelligenz, Sprachentwicklung und schulische Leistungen positiv beeinflusst werden können oder dass solche Programme geeignet sind, Lern- und Verhaltensstörungen im Kindesalter zu beseitigen. Positive Effekte können eher auf allgemeine Prinzipien der Förderung, die Beschäftigung mit dem Kind, das Eingehen auf seine Probleme und die Persönlichkeit des Trainers als auf spezifische Inhalte des jeweiligen Interventionsansatzes zurückgeführt werden (vgl. Sigmundsson, Pedersen, Whiting, & Ingvaldsen, 1998).

Dennoch erscheint es sinnvoll und notwendig, die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern mit Störungen der motorischen Entwicklung zu steigern, da eine Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten das Kind von vielen altersgemäßen Aktivitäten ausschließt, die für seine Entwicklung wichtig sind, und sich negativ auf sein Ansehen bei Gleichaltrigen und sein Selbstwertgefühl auswirkt. Um einen dauerhaften Erfolg zu erreichen, sollte bei allen Maßnahmen zur Steigerung der motorischen Leistungen gewährleistet sein, dass das Kind die natürliche Freude an der Bewegung (wieder-) entdeckt und Vertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit gewinnt, damit es von sich aus an Bewegungsspielen teilnimmt und von anderen Kindern als Spielpartner akzeptiert wird.

Auch Eltern können hierbei einen wesentlichen Beitrag leisten: Sie müssen einerseits akzeptieren, dass ihr Kind "ungeschickt" ist und kein Spitzensportler werden wird, andererseits müssen sie davon überzeugt werden, dass sie ihr Kind nicht - wegen seiner Ungeschicklichkeit – besonders schonen oder überbehüten, sondern sein Explorationsverhalten ermutigen, es immer wieder zu Bewegungsspielen und sportlichen Aktivitäten (z.B. Rad fahren, Schwimmen, Klettern) anregen und Hilfestellung bei motorischen Herausforderungen oder beim Ankleiden auf das dem Entwicklungsstand adäquate Niveau beschränken. Werden Kinder mit Bewegungsproblemen aus falsch verstandener Vorsicht in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt und werden ihnen dadurch wesentliche Bewegungserfahrungen vorenthalten, so besteht die Gefahr, dass sie motorische Herausforderungen meiden und infolge mangelnder Übung sich ihre motorische Leistungsfähigkeit gegenüber Gleichaltrigen weiter verschlechtert.

Literatur

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